Netzpolitik? Digitalpolitik? Wissenspolitik? Ein Prolog

Eine stetig wachsende Zahl von Menschen in liberalen, demokratischen Gesellschaften steht mittlerweile der Wissenschaft, neuem Wissen, neuen Technologien, insgesamt den aufklärerischen Ideen und Idealen, mindestens skeptisch, teilweise aggressiv oder sogar ganz offen feindlich gegenüber.

Und zwar nicht nur gegenüber dem Internet oder der Digitalisierung! Ganz egal ob Demokratie, Globalisierung, Klimawandel, Gentechnik und Biotechnologie, Robotik und KI, eine sich verändernde Mobilität - und selbst eine Corona-Pandemie oder große Flüchtlingsbewegungen:

Statt, dank dem jederzeit möglichen Zugriff auf relevante Informationen und Wissen, gut informiert nachhaltige Entscheidungen zu treffen, werden Fakten schlicht abgeleugnet, sogar gegen ein Virus demonstriert oder gleich 5G-Masten abgefackelt?

Und während sich die einen noch an den Kopf fassen, haben die anderen schon einen Donald Trump ins Weiße Haus oder den finalen Brexit gewählt. Ganz demokratisch - aber basierend auf Lug und Trug, genährt von allerlei wirrsten Verschwörungsideologien diametral jeglicher Faktizität.

Parallel wird das Internet immer weiter in kleinere Netze aufgespalten: durch politische Entscheidungen der großen Spieler USA, China, Indien - aber leider auch in Europa und vielen anderen Teilen der Welt.

The Times They Are a-Changin'

Die Renationalisierung von Kommunikation, Wissen und Zusammenarbeit schreitet mit der gesellschaftlichen Entwicklung erschreckend schnell voran - und eben nicht nur in den sich geschwürartig ausbreitenden Autokratien und Diktaturen dieser Welt.

Das Internet versprach die Welt zu einem globalen Dorf zu machen, wo Wissen und Ideen frei zirkulieren. - Stattdessen wird jetzt auch noch im kleinsten Dorf am eigenen Netz mit maximaler Kontrolle und Abgrenzung nach außen und innen gearbeitet.

Netzpolitik, Digitalpolitik, Wissenspolitik können sich diesen fatalen Entwicklungen entgegenstellen. Die Politikfelder eröffnen zumindest einen argumentativen und institutionellen Rahmen, innerhalb dessen gedacht, gestritten und entschieden werden kann.

Ob und inwieweit jedoch "das Netz", "die Digitalisierung" oder sogar "das Wissen" im Ganzen als schützenswert erachtet werden, wird in letzter Konsequenz immer von den Menschen und ihren Gesellschaften entschieden.

Netzpolitik und Internet

Netzpolitik ist dabei ohne jeden Zweifel der Klassiker unter den drei Disziplinen: Mit dem "Internet", spätestens mit dem Web ab Anfang der 1990er Jahre, konnte sie sich in Deutschland, Europa und weltweit sehr schnell etablieren - und später sogar hierzulande Basis einer neuen und temporär durchaus erfolgreichen politischen Partei werden.

Im Fokus der Netzpolitik stehen einerseits liberale als auch libertäre Freiheitsrechte und andererseits die Vorstellung von einem offenen und selbstbestimmten Internet als gesellschaftlichem und politischem Raum.

Klassische netzpolitische Stichwörter sind etwa: Netzneutralität, Privatsphäre, Datenschutz, Urheberrecht, Internetsperren, Vorratsdatenspeicherung, Überwachung

Typische netzpolitische Themen ähneln mithin denen klassischer Bürgerrechte mit einem starken Bezug zu medienpolitischen und medienrechtlichen Fragen, die sich aus der frühen und fortlaufenden Digitalisierung von Text, Audio, Video geradezu aufdrängten - und bis heute letztlich nicht beantwortet sind.

Digitalpolitik und Digitalisierung

Und genau mit der breiteren "Digitalisierung" von Gesellschaft und Wirtschaft entstand auch die korrespondierende Digitalpolitik: um die Jahrtausendwende trat sie immer stärker neben die Netzpolitik.

Genau wie die Digitalisierung tiefer in vorhandene Strukturen eindrang, erfasste auch die Digitalpolitik das politische System thematisch deutlich breiter und wurde von den etablierten Parteien stärker in ihrer jeweiligen Programmatik aufgegriffen.

Klassische digitalpolitische Stichwörter sind etwa: Industrie 4.0, digitale Infrastruktur, Glasfasernetz, digitale Dividende, Gaia X, IT-Sicherheit, Cyberwar, eGovernment, eLearning, Homeoffice

Typische digitalpolitische Themen ähneln also einerseits der klassischen Wirtschafts- und Industriepolitik, natürlich auch der Medienpolitik, und zielen andererseits immer stärker auf die Themen Bildung, Arbeit, Soziales und Sicherheit.

Wissenspolitik und Wissensgesellschaft

Zum sehr bekannten und viel älteren Begriff der "Wissensgesellschaft" und dem wachsenden Diskurs über Wissen und Wissenschaft, kam ab Mitte der 2000er Jahre mit der Wissenspolitik ein weiteres Politikfeld.

Während Netzpolitik und Digitalpolitik den sich ständig wandelnden Netz- und Digital-Technologien hinterherlaufen müssen, stellt Wissenspolitik genau dies in Frage: Wie kann und soll mit ständig neuem Wissen und neuen Technologien - nicht nur im Netz und Digitalen - überhaupt umgegangen werden? Wie können Menschen und Gesellschaften mit beschleunigtem Wandel umgehen?

Klassische wissenspolitische Stichwörter sind etwa: Postfaktizität, Wahrheitsproduktion, Realitätsveränderung, Verwissenschaftlichung, Wissenschaftskommunikation, Wissensprivatisierung, Biopatente, Softwarepatente, Wissensmanagement, Wissensbilanzierung

Typische wissenspolitische Themen ähneln also auf der einen Seite der Wissenschaftspolitik und ihrer institutionellen Ebene, beschäftigen sich aber weit darüber hinaus und bereichsübergreifend mit allen Fragen der Auswirkungen von neuem Wissen auf Gesellschaft und Wirtschaft.

Netzpolitik, Digitalpolitik, Wissenspolitik

Wir brauchen dringend wieder mehr Aufklärung. Viel mehr! - Netzpolitik, Digitalpolitik, Wissenspolitik sind heute essentielle und ganz elementare Politikfelder, um etwa mit der sich immer deutlicher abzeichnenden Katastrophe des Klimawandels überhaupt umgehen zu können.

Wissenschaftliche Erkenntnisse müssen hocheffizient in einem globalen Netz erzielt werden. Mit der Digitalisierung von Gesellschaft und Wirtschaft muss die Konversion zu einer nachhaltigen Zukunft gelingen. Und dies alles ohne die Aufklärung und mit ihr die liberale Demokratie zu verraten oder gleich abzuschaffen.

Ganz im Gegenteil müssen Aufklärung, Wissen und Technologie wieder als die Werkzeuge verstanden und genutzt werden, die der Menschheit durch ihre gesamte Geschichte zur Verfügung standen, um ihre akuten als auch strukturellen Herausforderungen zu meistern.